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»Kontrollierte Freiheit« Mein Buch, Corona und eine Verzögerung

Kühnreich – Kontrilliete Freiheit – Assoziation A

Was macht eine Autorin, die ein Konzept für ein Buch ausgearbeitet hatte, das eine Warnung sein sollte? Eine Warnung vor einer immer größeren Machtverschiebung durch die derzeitige Digitalisierung, die sich immer weiter weg von dem einzelnen Menschen und gesellschaftlichen Gruppen bewegt. Eine Warnung vor der jetzigen Form der Digitalisierung, die mit einer immer stärker werdenden Auflösung gesellschaftlicher Vernetzung außerhalb des Internets einhergeht und einer damit zusammenhängenden immer vollständigeren digitalisierten Kontrolle durch Staaten, Konzerne und einflussreichen politische Interessengruppen.

Es sollte ein Buch werden, das davor warnen wollte, dass uns die entstehenden digitalen Abhängigkeiten massiv auf die Füße fallen könnten, besonders in Zeiten von schweren Krisen, die schon immer Bestandteil des herrschenden Wirtschaftssystem waren. Und dann kommt eine solche Krise, noch bevor das Buch fertig geschrieben ist.

Einerseits wurde mein ursprüngliches Konzept einer Warnung durch die sogenannte „Corona-Krise“ von der Realität in einer nicht erahnbaren Geschwindigkeit überholt, auf der anderen Seite erscheint es nun dringender als zuvor, über die Machtverschiebungen durch die jetzige Form der Digitalisierung zu sprechen und deren soziale Auswirkungen noch stärker in den Fokus zu nehmen.

Denn der Science-Fiction-Film einer neuen Krisen-Welt ist für uns Realität geworden und es gibt noch nicht einmal Popcorn.

Ablenkung gegen Daten

Als eine der Auswirkungen der Corona-Krise ist zu beobachten, wie die meisten Menschen nun schneller als jemals zuvor und anscheinend blind für die entstehende Gefahr in die Netze der großen Konzerne springen, wenn diese „soziale“ Kontakte und Ablenkung über Maschinen anbieten. Viele Menschen nutzen Kommunikationsdienste wie Whatsapp oder Tiktok, für die seltsamerweise kein Geld gezahlt werden muss, die aber allgemeine Geschäftsbedingungen (ABG) haben, gegen die Telefonbücher als interessantes und leichtes Lesefutter erscheinen mögen und einen Vertrag zwischen der Nutzer:in und der Anbieter:in darstellen. Zumeist werden diese AGB akzeptiert ohne gelesen zu werden. – Damit erlauben die Nutzer:innendie in den AGB eingeräumte Nutzung und Weitergabe der von uns durch die „Gratisdienste“ erzeugten Daten, eine unglaubliche Machtweitergabe an die Konzerne dar. Diese Daten stellen aber die Grundlage für unsere eigene Beeinflussung dar – sei es auf unsere Bedürfnisse oder auf unsere Meinung. Damit die Betreiber:innen solcher Dienste ihr Wissen über uns und somit uns selbst wieder und wieder an jegliche Interessierte verkaufen können, die bereit sind, dafür zu zahlen. Und dieses von uns selbst freigegebene Wissen ist die Grundlage für eine Beeinflussung. Damit wir mehr kaufen, anders wählen, anders denken oder einfach mehr Zeit auf dem Dienst verbringen. Wir sind wohl die ersten Laborratten, die sich selbst ans Labor ausliefern – ohne auch nur Geld dafür zu erhalten…

Zahlen & schwerhörige Gött:innen

Zudem herrscht spätestens seit Anfang April 2020 nicht nur in den Medien, sondern auch in vielen sonstigen privaten wie öffentlichen Gesprächen eine unglaubliche Sucht nach Zahlen, seien die Grundlagen dieser Zahlen auch noch so ungewiss.¹ Zahlen von Erkrankten und Verstorbenen, nach deren Alter, eventuell auch nach deren Herkunft. Als wären Zahlen etwas, hinter dem man sich vor einer Seuche verstecken könnte. Als wäre es unschicklich einfach zu sagen, dass es sich um eine neue Erkrankung handelt, dass man daher nicht viel über sie weiß. Und das man erst einmal vorsichtig beobachten und lernen muss. Stattdessen wird immer wieder die große Hoffnung geschürt, dass uns die Maschinen, die Technologien, aus der Misere befreien könnten. So wird nach Apps, künstlicher Intelligenz und Blockchain gerufen, als handelte es sich um schwerhörige Gött:innen. Es entsteht eine schwierige Situation in der die Politik zur Kontrolle greift, gerne auch in technologisierter Form, die Wirtschaftsverbände schnell nach Öffnungen rufen und eine verunsicherte Bevölkerung ihre Informationen schon jetzt zu einem hohen Maß über sogenannte „Social Media“ bezieht, die privatwirtschaftlich und ohne gesellschaftliche Kontrollinstanz betrieben werden. Obwohl die Nachrichten der angeblich „Sozialen Medien“ von Algorithmen gesteuert werden, die allein auf die Zahl der Klicks programmiert wurden und nicht auf einen gesellschaftlichen Nutzen hin.

Kontrolle & Technologie

In den überwiegend spät eingesetzten Versuchen der meisten Länder, die Pandemie zu kontrollieren, lässt sich weltweit eine hohe Gläubigkeit in technologische Lösungen beobachten und niedriges Vertrauen in die Gesellschaft als Ganzes sowie deren Fähigkeit, sich selbst zu verwalten. Statt örtlicher und kollektiver Bemühungen sollen lieber Apps und Maschinen die Menschen kontrollieren.

Menschen und ihre Bedürfnisse

Über allem scheint vergessen zu werden, dass Menschen andere Bedürfnisse haben als Maschinen. Sie haben lernende Immunsysteme, körperliche Bedürfnisse und haben ethische Entwicklungen durchgemacht und tragende soziale Eigenschaften errungen. Wir wurden angehalten, uns körperliche von anderen fernzuhalten, was nicht nur für die kleinsten und ältesten schwer auszuhalten war und ist. In der Corona-Krise, an deren Anfang wir zum jetzigen Zeitpunkt (Juli 2020) vielleicht erst stehen, ist zu beobachten, dass viele dieser ethischen und soziale Errungenschaften zu zerbröseln scheinen.

Die dünne Decke der Zivilisation scheint schnell zu zerreißen, wenn Menschen in Panik ein möglichst großes Stück für sich selbst aus den Errungenschaften herausrupfen wollen. So wird auf einmal unter dem Namen „Triage“ darüber diskutiert, dass oft nur nebulös definierte „Risikogruppen“ erst versorgt werden sollten, wenn diese Versorgung für andere nicht mehr gebraucht würde. Auch wird dabei bedenken- und gewissenlos von den „Behinderten“ und „Alten“ gesprochen, als handele es sich hier um Menschen zweiter Wahl. In der milderen Version dieser Geisteshaltung wird ein Einsperren dieser Bevölkerungsgruppen gefordert. Dass es sich dabei um Forderungen eines Sozialdarwinismus handelt, also einer Übertragung der Gedanken des Naturforschers Charles Darwin auf die menschliche Gesellschaft und der sogenannten „Erbgesundheitslehre“, der Eugenik, scheint vielen der oft gut gebildeten Menschen, die dieses fordern, kaum bewusst zu sein. Diese Einstellung entspricht dem herrschenden Wirtschaftssystem, in dem Menschen in „Leistungsträger:innen“ und „Schwache“ eingeteilt werden.

Die aktuelle Krise hat die meisten von uns noch ein Stück mehr sozial entwurzelt. Aber das wirklich Neue an dieser Krise ist , dass es die erste Pandemie mit sogenannten „Social Media“ ist, über die Milliarden von Bewohner:innen dieses Planeten erreicht werden. Während manche ob der sich überstürzenden Ereignisse wie das Kaninchen vor der Schlange erstarren, drängt es andere nach Aktivitäten.²

Aktiv werden, aktiv sein – aber wie?

Neben Menschen, die sich ernsthafte Sorge um die vor Jahrzehnten errungenen und in der Verfassung verbrieften Grundrechte machten, über die angebliche „Freiwilligkeit“ von Maßnahmen wie Apps und deren Auswirkungen³ oder die verheerenden Zustände in Flüchtlingslagern, strömten auch tausende von organisierten Nazis und Anhänger:innen von sonstigen Verschwörungsmythen auf die Straße. Viele Augen richteten sich aber auch nach oben, zu den gewählten Vertreter:innen und Regierungen, zu den Expert:innen, zu den Influencer:innen der „Social Media“ und den Wirtschaftsführer:innen. Denn 2020 sind die Fähigkeiten zur Selbstorganisation in unseren Gesellschaften bereits so weit zerbröckelt, dass wir uns freuen können, wenn es in kleinen Gemeinden noch eine freiwillige Feuerwehr gibt oder eine Hausgemeinschaft in der Stadt, diesen Namen verdient. Wir haben unsere Macht und unsere Einflussmöglichkeiten zu weiten Teilen an andere abgegeben und müssen daher nun auf andere hören. Und mehr und mehr scheinen wir trainiert zu sein auf die Maschinen zu hören – mit ihren kleinen Reiterchen, den Apps genannten Programmen. Wir laufen oder fahren den Weg, den GoogleMaps uns vorschlägt, wir kaufen die von Amazon vorgeschlagenen Produkte und paaren und mit den von Grindr oder Tinder vorgeschlagenen Personen.

Corönchen, die Wirtschaft und internationale Abhängigkeiten

Auch auf einer anderen Ebene hat Corönchen die Sicht freigelegt: auf die Abhängigkeiten der Wirtschaft inklusive der Landwirtschaft. Die Länder, in denen wir Leben, so hat uns Corona gezeigt, sind in den letzten Jahrzehnten immer unselbstständiger und abhängiger von sogenannten „internationalen Lieferketten“ und Wanderarbeiter:innen geworden. Wichtige medizinische Produkte wie Atemmasken und Desinfektionsmittel werden nicht mehr vor Ort hergestellt. Auch die Arbeiter:innen, die die körperlich und psychisch anstrengenden Arbeiten wie die Versorgung unserer Alten und Pflegebedürftigen übernehmen, die auf den Feldern und Obstplantagen oder in den Schlachthöfen und ähnlichen Bereichen zu Hungerlöhnen malochen und meist unter menschenunwürdigen Behausungen hausen müssen, kommen von anderswo. Und auch viele derjenigen, die Fahrten unserer Waren von den Grenzen bis an die Haustür übernehmen. Aber auch zwischen den inländischen Beschäftigten wurde in der Krise ein tiefer Graben eröffnet: Zwischen denen, die das Haus verlassen müssen, um der Lohnarbeit nachzugehen und somit die Gesellschaft am Laufen halten und denen, die es nicht sollen oder nicht dürfen, weil sie über Maschinen von Zuhause aus arbeiten können. Und im sogenannten Homeoffice sind die Arbeitnehmer:innen vereinzelter und zudem oft durch Pflegebedürftige von geringem oder hohem Alter umgeben. Wie ein:e Arbeitnehmer:in mit dieser Herausforderung umgeht, wird zur Privatsache der betroffenen Person erklärt.

Rettung per App?

Corona könnte eine Möglichkeit sein, unser Gesellschaft, unser Wirtschaftssystem und unseren Umgang mit Gesundheit und sogar dem mit dem Planeten, der unsere Lebensgrundlage bildet, zu überdenken. Aber jede Krise bietet aber auch eine große Chance für diejenigen, die an den Schalthebeln der Macht sitzen, diese so neu auszurichten, dass sich ihre Macht noch vergrößert. Und so wurden in der Vergangenheit solche Krisen zumeist dafür genutzt, die aus der vermeintlich sichern gesellschaftlichen Verankerung gerissenen Menschen in neue Arten der Abhängigkeit und des Gehorsams zu zwingen.

Überwachung und Disziplinierung werden auch heute zum Retter aus der Krise ausgerufen. 2020 aber mit einer nie dagewesenen technologischen Ausrichtung: Rettung per App. Inklusive anderer Formen der Digitalisierung.

Krise heißt Wandel – aber wohin?

So muss dieses Buch also anders und neu geschrieben werden. Es kann nicht mehr einfach als Warnung vor einem Machtgewinn der Technologie gelten, besonders unter Krisenbedingungen, denn die Krise hat mich beim Schreiben am Buch überholt.

Nun müssen meine eigenen und die geborgten Gedanken, Erfahrungen und Beispiele, die in das Buch einfließen sollten, neu zusammengefügt werden, um ein neues Ganzes zu ergeben. Und zur Beschreibung der technologischen Grube, in die wir inzwischen gefallen sind werden. Vielleicht hilft dies, zukünftige Gruben zu erkennen und zu umgehen. Oder vielleicht auch nur, um die Unterschiede der verschiedenen Gruben, in denen wir landen, zu beschreiben. Statt dem Warnruf „Vorsicht, Grube!“, muss es eine Anleitung zum Herausklettern werden.

Vielleicht kann es dabei helfen, den Mut nicht zu verlieren. Denn keine Krise ist unendlich. „Krise“ bedeutet dem Wort nach auch Wendepunkt. Es liegt an uns und unserer Fähigkeit, uns mit anderen zu organisieren, in welche Richtung sich die Gesellschaft durch die Krise wendet. Das hört sich unmöglich an? Das ist es aber nicht. Hätte Ihnen 2018 jemand erzählt, dass allein der Flugverkehr 2020 so stark zurück geht, hätten sie es ja auch nicht für realistisch gehalten.

Nichts ist unmöglich. So lange wir atmen, können wir etwas ändern. Packen wir es an.

Nachsatz: Wer das Entstehen des Buches unterstützen möchte, kann das ganz schnöde mit Geld tun. Dieses erreicht die Verfasserin über das Konto Katika Kühnreich | GLS Gemeinschaftsbank | IBAN: DE 69 4306 0967 0011 6097 00 | BIC: GENODEM1GLS .

Nachsatz zwei: Das Buch mit dem Titel „Kontrollierte Freiheit“ erscheint bei Assoziation A. Hier findet sich die Ankündigung des Verlags: http://www.assoziation-a.de/buch/Kuehnreich_Kontrollierte_Freiheit.