Statt einen Artikel zum sicher(er)en Homeoffice, der digitalen Verführung durch große Firmen und gamifizierten Käsewürfeln zu veröffentlichen, sehe ich mich durch die zur Zeit laufenden Entwicklungen und besonders die Vorkommnisse am Wochenende, dazu gezwungen, etwas anderes zu schreiben. Denn wenn Nazis sich so offen auf der Straße zeigen, wenn diejenigen, die „Nazis raus!“ rufen, auf Demonstrationen bedroht werden und das noch an den Jahrestagen der Befreiung vom Nationalsozialismus in dem Land, von dem die NS-Ideologie ausging, dann ist es Zeit für einen anderen Text.
Wer mit Nazis demonstriert, wer neben ihnen steht, mit ihnen läuft, ihre Beiträge wohlwollend weiterleitet oder Kuchen mit ihnen bäckt, macht sich mit ihnen gleich und muss dann auch mit den entsprechenden Reaktionen rechnen. Wer Nazis nicht wegen ihrer menschenverachtenden Aussagen konfrontiert, sondern die Schuld für solche Aussagen im Alkohol, dem Liebeskummer, dem Unverständnis der Situation oder gar in der politischen Situation selbst sieht, der toleriert Nazis und findet Entschuldigungen für Menschen, die den Holocaust wiederholen wollen und von Weltkriegen träumen.
Und solche Menschen sollten sich hüten, von „politischen Grundrechten“ oder von „Menschenrechten“ zu sprechen oder dafür zu demonstrieren. Denn Nazis kennen keine Rechte von Menschen anderer Gesinnung, Herkunft oder denen mit anderen körperlichen und geistigen Fähigkeiten.
Und wer kein Nazi ist, aber aus strategischen Gründen mit ihnen paktieren will, akzeptiert Menschenverächter, ihre Ansichten und Taten und sollte sich damit gemeinsam mit seiner Querfront-Taktik disqualifiziert haben.
Nazis sind weder dumm noch durch Äußerlichkeiten erkennbar. Die Aussage „Wieso, ich sehe hier doch gar keine Nazis“, nur weil gerade kein Skinhead anwesend ist, ist entweder naiv oder hohl. Es gibt in diesem Land keine Kennzeichnungspflicht für Nazis. Manche können Nazis durch einige Kenntnis von deren Codes an deren Klamotten, Kennzeichen, Tattoos oder Fahnen erkennen, jede:r kann dies aber anhand ihren Aussagen schaffen.
75 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges mischen sich Nazis aber unter besorgte Bürger:innen, in Chatrooms, auf Mailinglisten und auf Demos und diese besorgten Bürger:innen, die nicht zu merken scheinen, wie weit rechts sie zum Teil schon selbst stehen, wenn sie nicht die Nazis zu vertreiben versuchen, sondern gemeinsam mit den Nazis diejenigen, die „Nazis raus“ rufen. Und etablierte Politiker der FDP ohne Masken zusammen mit der AFD demonstrieren.
Die aktuellen Entwicklungen im Bereich von digitalisierter sozialer Kontrolle beunruhigen mich, genau wie viele andere, zutiefst. Genauso beunruhigen mich aber die Reaktionen aus Teilen der Bevölkerung darauf.
Immer wieder spreche und schreibe ich in Vorträgen und Veröffentlichungen von Macht und davon, dass viele Taktiken, die besonders im Bereich der sogenannten „Sozialen Medien“ benutzt werden, dazu eingesetzt werden, die Nutzer:innen zu steuern. Dabei meine ich keinerlei Theorie, in der Menschen einer bestimmten Rasse, Religion oder Frisur hinter einer weltumspannenden Verschwörung stecken. Ich beziehe mich auf den Kapitalismus als Wirtschaftsform und Techniken wie die Gamification. Beides sind beileibe keine Geheimtheorien. Hinter keiner steht eine bestimmte Gruppe. Und ich wehre mich entschieden gegen die Vereinnahmung meiner Aussagen durch rechte Gruppierungen, egal, ob sie darin Beweise für eine kommende Weltherrschaft Chinas oder von anderen „dunklen Kräften“ sehen.
Wir erleben gerade die erste Epidemie mit „Social Media“. Das Internet in seiner jetzigen Form, die Algorithmen und somit die Suchergebnisse der „Social Media“ sind leider oft so konzipiert, dass die Meldung, die „am meisten knallt“ am schnellsten hochgespült wird. Und das sind auch rechtes Gedankengut, Weltverschwörungshorrormärchen und ähnliches. Wir müssen lernen, Nachrichten wieder zu prüfen und nicht alles zu glauben, was wir als Bild sehen oder als Beitrag lesen. Besonders, wenn es so viele Klicks hat.
Die Welt, die wir kannten, scheint in den Augen von manchen geendet zu haben. Selbst wenn dies so sein sollte, darf es aber kein Grund sein, Nazis den Weg zu bereiten.
Wir wissen vielleicht jetzt noch nicht, wie gefährlich der aktuelle Corona-Virus für wen wann ist und wann wir wieder ein „normales“ Leben führen. Es ist auch immer richtig, den Mächtigen genau auf die Finger zu schauen und es ist auch berechtigt, Angst vor manchen Entwicklungen zu haben. Und es ist richtig, für seine Grundrechte auch in der Krise einzustehen. Aber bei all dem, was wir über Corona noch nicht wissen mögen, wissen wir, wohin rechte Ideologie und führt: In Terror, in Diktatur, in die Vernichtung von Menschen und in den Krieg.
75 Jahre nach dem Ende der menschenverachtenden Diktatur, die nur dadurch funktioniert hat, dass so viele weggeschaut, verharmlost und mitgemacht haben, ist es richtig, wachsam zu sein – und zwar besonders gegenüber denjenigen die scheinbar einfache Erklärungen und Lösungen bieten. Wir leben in einer vielschichtigen Gesellschaft und Wirtschaftsordnung mir vielschichtigen Problemen. Aber mit Menschen auf die Straße zu gehen und Netzwerke zu bilden, die eine Wiederholung der NS-Diktatur anstreben, macht einfach keinen Sinn.
Nazis verschwinden nicht, wenn man sie ignoriert oder mit Keksen füttert. Nazis müssen zurückweichen, wenn man ihnen entgegentritt. Und zwar am besten geschlossen.