Hinter jeder Entwicklung steht eine Idee. Hinter jeder Bewegung stehen Ideen und Glauben. Genauso verhält es sich mit der Digitalisierung. Vom „postideologischen Zeitalter“ zu den Ideen des TESCREAL und Faschismus.
Die Digitalisierung ist nicht einfach passiert, ihre Entwicklung wurde vorangetrieben. Es ist Zeit, sich mit den Ideologien hinter der Digitalisierung beschäftigen. Dies ist ein Anfang und Teil der Arbeit an meinem Buch. Dieser Strang wird in unregelmäßigen Abständen auf diesem Blog vertieft.
Postideologie
Vor Jahrzehnten wurde der Begriff des „postideologischen Zeitalters“ geprägt. Eine Bezeichnung, die suggeriert, dass es nicht mehr um weltanschauliche Konflikte, sondern um praxisnahe Lösungen gehen solle. Auch wenn der US-Amerikaner Daniel Bell mit seinem Werk: „The End of Ideology – On the Exhaustion of Political Ideas in the Fifties“ , dessen Erstausgabe 1960 erschien, dies nicht intendierte.

„Post-Ideologie“ wurde gemeinsam mit „Neutralität“ zu schwierigen Begriffen für Entwicklungen und Diskussionen in den auf das Buch folgenden Jahrzehnte.
Ideologien hinter der Digitalisierung
Obwohl das Technische, das Digitale heute von vielen als etwas neutrales angesehen wird, stecken hinter der Digitalisierung und in den Köpfen vieler Entwickler:innen und Profiteur:innen viel Ideologie und Weltanschauung.
Die Ursprungsideologie, die Kybernetik, hat ein mechanisches Weltbild und sieht, sehr verkürzt gesagt, den Menschen als Transmitter. Für Interessierte findet sich hier das Video meines Vortrags auf der FifFCon2018 zum Thema Kybernetik und Kontrolle.
Stetige Entwicklung
Seit ihrer Begründung durch Norbert Wiener hat die Kybernetik unterschiedliche Entwicklungen durchlaufen und unterschiedliche Forschungs- und Glaubensbereiche mitbegründet. Der der Gamifizierung zu Grunde liegende Behaviourismus entstammt ebenso aus der Kyberbetik wie die nun als TESCREAL getauften Zukunftsglauben.
Die Kybernetik wurde in unterschiedlichen politischen Zusammenhängen gefeiert und als mögliches Werkzeug für den eigenen Erfolg oder der Befreiung der Arbeiter:innen und Massen, wie etwa in Allendes Chile mit dem Programm Cybersyn [de] gesehen.
Technologie und Faschismus
Doch Technologie war nie neutral. Sie wurde und wird von Menschen entwickelt, die an sich nie neutral sind. Interessant ist ihre Nutzung und ihre Stellenwert in Gesellschaften und, besonders heute, die Verbindung zwischen Technologie und Faschismus.
Die Ursprünge des Faschismus liegen im Futurismus, einer Bewegung, die die Technik und den Krieg feierte und Frauen sowie Anarchist:innen als die schlimmsten Feind:innen verachtete – und deren wohl prominentester Anhänger Benito Mussolini war.
„Wir wollen den Krieg verherrlichen – diese einzige Hygiene der Welt – den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes.“
Manifest des Futurismus – Filippo Tommaso Marinetti.
Sowohl Mussolini als auch der ihn in vielen Aspekten kopierende Adolf Hitler griffen technologische Entwicklungen begeistert auf und verwendeten sie für Propaganda, Kontrolle, Lenkung und die Verfolgung und Ausrottung von politischen Gegner:innen.
Tech-Milliardär:innen und Zukunftsfaschismus
Der Faschismus war mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs im September 1945 nicht untergegangen. Viele Faschist:innen trugen diese Ideologie weiter in Köpfen und Herzen und gaben sie an Jüngere weiter.
Nun leben wir in einer Zeit, in der sich rechtskonservative bis rechtsradikale und faschistische Ideen in Windeseile verbreiten. Wie immer mithilfe von Technologien. Neu ist für viele nun, wie viele in Machtpositionen der US-amerikanischen Tech-Industrie Anhänger:innen dieser Ideologien sind.
Émile P. Torres beschrieb 2023 in seinem Artikel TESCREAL [en] über die neuen Ideologien in und um die neusten Technologien und Versprechen, besonders auch um die sogenannte künstliche Intelligenz. TESCREAL setzt sich aus den englischen Begriffen Transhumanism, Extropianism, Singularitarianism, Cosmism, Rationalism, Effective Altruism und longtermism zusammen, die den weltanschaulichen Hintergrund vieler Tech-Entwickler:innen von Kalifornien bis China bilden.
Im deutschsprachigen Bereich ist Max Schnetker einer der prominentesten Forscher zum Thema Transhumanimus und sprach zu diesem Thema auch auf dem 38C3 [DE/eng. Sub].
Es ist von größter Notwendigkeit über Ideologien und Glaubenssysteme zu sprechen. Denn wie Menschen Menschen sehen bestimmt ihren Umgang mit ihnen und ihr Bild einer idealen Gesellschaft. Und wenn diese Menschen so viel Einfluss wie Elon Musk oder Peter Thiel haben, sollten wir vielleicht lernen, besonders gut hinzuschauen.
Hinweis: Am 06.06.2025 veranstalten die FG Internet & Gesellschaft + Ethik der Gesellschaft für Informatik eine Veranstaltung mit Max Schnetker zum Thema Longtermismus und digitalem Faschismus. Digital und vor Ort in Berlin.